Der Rhein ist auch heute noch ein sehr dynamischer Fluss, die abgeführten Wassermassen können auch in normalen Jahren schon einmal das zehnfache der Niedrigwassermenge erreichen. Bevor Deiche und Buhnen den Fluss in ein festes Bett gezwun­gen haben, gab es immer wieder Überschwemmungen und bei manchem großen Hochwasser hatte der Fluss am Ende ein neues Bett gefunden. Es musste nicht immer ein Jahrhunderthochwas­ser sein, denn im Winter konnte es passieren, dass Eisschollen das alte Bett blockierten und der Fluss sich so einen neuen Weg suchen musste.
Da es bis über das Mittelalter hinaus keine Landkarten gab, las­sen sich die früheren Stromverläufe nur aus verschiedenen, heu­te zugänglichen Merkmalen rekonstruieren: aus den geologi­schen Bodenverhältnissen, alten Flur- und Grundstücksgrenzen, den Geländehöhen und aus zeitgenössischen Dokumenten und Berichten. Dabei ist die Dynamik eines natürlichen Wasser­stroms zu be­rücksichtigen.

Demnach könnte der Strom im Mittelalter von Duisburg kom­mend an Eversael vorbei östlich von Götterswickerhamm die heutige Mommniederung erreicht haben und wäre dann zwi­schen Ork und Mehrum hindurch und dann an Ossenberg vorbei über die heutige Borth‘sche Ley Richtung Wesel abgeflossen. Der Mommbach oder „die Momm“ mündete damals etwa dort in den Rhein, wo heute das Haus Voerde steht. Götterswicker­hamm, Löhnen und Mehrum haben demnach sei­nerzeit auf der linken Rheinseite gelegen, Borth und Wallach auf der rechten (Bild: Möglicher Rheinverlauf vor 1270). Nicht umsonst wurde die Kirchenge­meinde in Wallach von der Pfarrei Spellen betreut. Allerdings waren diese Orte damals auch nur in Ansätzen vor­handen.


Dies änderte sich um das Jahr 1270 herum (Stadt Rheinberg, Rheinberger Zeitleiste). Ob es sich um ein besonderes Hochwas­ser gehandelt hat oder ob Eisgang die Hauptrolle spielte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Behinderungen an der Engstel­le zwischen Orsoy und Alt Walsum – das spricht eher für Eis­gang – haben den Strom möglicherweise in das Gebiet der heuti­gen Walsumer Rheinaue gelenkt, so dass es zu einem Durch­bruch südlich von Götterswickerhamm kam, der Fluss den Weg nach Westen nahm und erst vor Rheinberg wieder nach Norden abgelenkt wurde. Übrig blieb zwischen Voerde und Löhnen ein alter Rheinarm, in dem noch lange Zeit Wasser gestanden haben muss. 1582 jedenfalls wurden dort noch Fischereirechte ver­pachtet. Niederdeutsch wurden solche Seen als Meer bezeichnet (wie heute noch im Niederländischen). Die charakteristische „Uferfront“ mit einer Reihe hochliegender Hofstellen hieß fol­gerichtig „op den Mehr“ oder heute einfach „Mehr“. (Auch der Name Mehrum hat damit zu tun.) Allmählich verlandete dieser alte Rheinarm und übrig blieb allein der Mommbach, der dem alten Rheinbett folgte. Es entstand die Landschaft, die wir heute als „Mommniederung“ kennen.
So hatte der Rhein ein neues Bett gefunden (Bild 2). Gegenüber dem heutigen Zustand verlief der Hauptlauf weiter südlich, vor Götterswickerhamm ist auch von einer Insel oder Sandbank die Rede, das „Hamm“. Aber kaum hatte sich die Veränderung eta­bliert, begann der Strom das Ufer an der Strömungskante abzu­tragen. Einzelne Höfe und Katstellen mussten aufgegeben wer­den, schließlich verschwand das ganze Dorf Rhynern, das zwi­schen Mehrum und Götterswickerhamm gelegen hatte. Aber im Großen und Ganzen änderte sich die Stromführung nun Jahr­hunderte lang nicht mehr.


Auch die so genannte Magdalenenflut im Sommer 1342, die in Mitteleuropa als das schlimmste Hochwasser aller Zeiten bewer­tet wird, scheint an der Stromführung des Rheins im Gebiet bei Voerde nichts Wesentliches verändert zu haben. Allerdings hatte sie schwere Auswirkungen auf die Ernährung der Bevölkerung. Auf großen Teilen des bebauten Ackerlands blieben nach der Flut Sand und Kiesschichten zurück und Ackerbau war auf lan­ge Sicht nicht mehr möglich. Hungersnöte folgten. Sobald sich wieder Aufwuchs einstellte, entwickelten sich zuerst Möglich­keiten für Viehwirtschaft. Es gibt Untersuchungen, wonach sich die Ernährung der Bevölkerung notgedrungen von weitgehend vegetarischer auf überwiegend fleischliche Kost umstellte.
Wesentliche Änderungen im Stromverlauf gab es erst wieder im Jahr 1668. Wieder war es ein Hochwasser, verbunden mit Eis­gang, was zu einem Durchbruch in der Höhe von Mehrum führ­te. Nun war die Stadt Rheinberg vom Rheinstrom abgehängt, so dass dort auch keine Zölle mehr von der Rheinschifffahrt erho­ben werden konnten. Dem Kurfürsten zu Brandenburg, zu dem damals bereits das rechte Rheinufer gehörte, war das gerade recht. Mit ersten strombaulichen Maßnahmen wurde die Ver­sandung des Altrheins bei Rheinberg noch gefördert.
Ob das den Anlass gab, wissen wir nicht. Jedoch begann der preußische Staat in dieser Zeit auch mit Maßnahmen, den Rheinstrom einzudeichen und die Hauptrinne durch Buhnen zu sichern. Letztlich waren diese Maßnahmen erfolgreich. Bis auf den unter Napoleon künstlich herbeigeführten Durchstich bei der Büdericher Insel blieb die Stromführung bis heute weitge­hend unverändert.